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Erlösung im Elysium
Gabriel Fauré: Messe de Requiem op. 48
28.06.2022 — von Johannes Liebig
Requiem – wer dächte bei einem Werk dieser Gattung nicht an Klagegesänge, apokalyptische „Dies irae“-Chöre, eine dramatisch ertönende Posaune, die den Tag des Jüngsten Gerichts verkündet? Dass es auch anders geht, zeigt der Komponist Gabriel Fauré (1845-1924): Über seinem Requiem liegt eine Idylle. Es zeichnet kein schreckliches Bild eines furchterregenden Todes, sondern begreift den Tod als Erlösung, als Befreiung von irdischem Leiden.
Mit der Arbeit an seinem Requiem, dem heute bekanntesten Werk Faurés, begann der Komponist 1887. Es entstanden mehrere Fassungen mit unterschiedlicher Besetzung, bis 1900 die endgültige Version für Chor, Solisten und großes Orchester vollendet war. Es liegt nahe, den Grund für die Komposition des Requiems im Tod von Faurés Vater (1885) und Mutter (1887) zu sehen, was Fauré selbst jedoch stets bestritt. „Mein Requiem wurde für überhaupt nichts komponiert – zum Vergnügen, wenn ich so sagen darf!“, äußerte er in einem Brief von 1910.
Tatsächlich gab es wohl doch einen äußeren Anlass für die Komposition des Werks: die Trauerfeierlichkeiten für Joseph-Michel-Anne Lesoufaché (1804-1887), einen bedeutenden französischen Architekten, in der Pariser Kirche La Madeleine. Fauré war dort als Kirchenmusiker tätig und hatte die Musik zu der Totenmesse zu schreiben. Die Uraufführung des Requiems fand in La Madeleine am 16. Januar 1888 statt.
In seiner Vertonung hält Fauré sich weitgehend an die traditionellen Liturgietexte der Totenmesse. Eine Besonderheit ist die Hinzufügung der beiden letzten Sätze Libera me und In Paradisum. Sie bitten um Rettung vor höllischen Qualen und Geleit ins Paradies und verleihen dem Werk so einen optimistischen und hoffnungsvollen Ausklang. Die einzelnen Sätze gestaltet Fauré so:
Das Introït et Kyrie enthält die Bitte um ewige Ruhe für die Toten: „Requiem aeternam“ (diese Textzeile gibt auch der Gattung „Requiem“ ihren Namen). Auf eine gewichtige langsame Einleitung folgt ein bewegter Andante-Teil mit fließenden Melodielinien in den Streichern (1:41). Dieser steigert sich zu einem Höhepunkt, auf dem der gesamte Chor ausruft: „Exaudi orationem meam“ („Erhöre mein Gebet“, 3:32). Danach kehrt der ruhige Anfangsteil zurück und klingt im Pianissimo aus.
Das Offertoire ist ganz in sich gekehrt. Die tiefen Chorstimmen setzen fugiert ein (7:13), worauf ein idyllischer Mittelteil mit Baritonsolo und wiegender Streicherbegleitung folgt (10:23). Dann kehrt der Chorteil vom Anfang wieder. Ganz am Ende wendet sich die Musik von h-Moll zu tröstlichem H-Dur. Ein „Amen“ drückt Zuversicht aus (14:04).
Zu Beginn des Sanctus breiten die Bratschen einen Klangteppich aus, über dem sich weitgespannte Melodielinien des Chores entfalten (15:11). Kurz vor Ende des Satzes folgt ein dramatischer Ausbruch auf den Text „Hosanna in excelsis“ („Hosanna in der Höhe“, 17:20). Der Satz endet atmosphärisch mit Violintrillern und ausgehaltenen Orchesterakkorden.
Pie Jesus ist ein ruhevolles Adagio. Die schlichte Gesangslinie des Solo-Soprans wird über weite Strecken nur von der Orgel getragen (18:46). Das Orchester nimmt Motive der Gesangsmelodie auf und führt sie weiter.
Ein lyrisches Streichervorspiel eröffnet das Agnus Dei (22:12). Später in diesem Satz bittet der Chor für die Verstorbenen, das ewige Licht möge ihnen leuchten („Lux aeterna luceat eis“). Auch im Orchester funkelt dann dieses ewige Licht in farbenreichen harmonischen Rückungen (24:20). Nach einer Steigerung bricht in der Satzmitte unerwartet der Beginn des ersten Satzes wieder herein, das dramatische Introït in d-Moll (25:50). Danach kehrt das lyrische Streichervorspiel zurück, das jetzt das Nachspiel bildet.
Das Libera me wird vom Solobariton mit pizzicato-Begleitung der Streicher begonnen (27:42). Anschließend setzt der Chor im Pianissimo ein, um sich zum eindrucksvollen „Dies irae“ zu steigern. Hier verkünden die Blechbläser mit dramatischen Fanfaren das Herannahen des jüngsten Tages (29:16).
In Paradisum erzählt von dem Weg eines Verstorbenen ins Paradies, wohin er von Engeln geleitet werden möge. Begleitet von Streichern und Orgel beginnt der Sopran zunächst allein (32:07), bis auf das Wort „Jerusalem“ die Männerstimmen hinzutreten. Am Ende des Satzes vereint sich noch einmal der ganze Chor zu der Bitte „Aeternam habeas Requiem“ („Mögest du ewige Ruhe haben“, 34:55). In lichtem, erlöstem D-Dur endet damit das Requiem.
Mich persönlich berührt beim Hören des Werkes immer der Schluss am meisten – so sehr hebt er sich ab von anderen Requiemvertonungen: Nicht die Angst vor dem Tod steht im Mittelpunkt, sondern eine Seelenruhe, die dem Lebensende gelassen entgegensieht. So kann Faurés Requiem den Hörenden Kraft und Trost spenden.
Dieser Text entstand für ein Konzerts des Hochschulchores und des Hochschulorchesters der HfMDK Frankfurt am Main am 1. und 2. Juli 2022 im Großen Saal der HfMDK.